Vor einigen Wochen hatte ich zum ersten Mal eine Gear VR auf. Ich saß bei uns in der Arbeit auf meinem grünen Drehstuhl, auf den Ohren weiche Kopfhörer, vor den Augen die stockdunkle VR-Brille, mit einem unendlich scheinenden Screen und in der Mitte ein Play-Button, wie man das so kennt von YouTube.
Also: Play.
Man hatte mich vorgewarnt, es sei ein bisschen angsteinflößend, manche hätten nach zehn Sekunden schon abgebrochen. Tatsächlich aber nicht wegen Motion Sickness (die noch ein echtes Problem ist für VR), sondern wegen des Films selbst, der mich auf eine Horrortour durch eine Irrenanstalt mitnimmt.
„Catatonic is an immersive journey through an insane asylum in which the audience, bound to a wheelchair, undergoes a sensory-shocking horror thrill ride.”
Ich bin absolut kein Horror-Fan, aber ich war begeistert. Von der plötzlich geschaffenen Welt, von dem flüssigen Mitgehen der Simulation mit meinen Kopfbewegungen, und von der Umsetzung, die mir erlaubte und von mir verlangte, mich ganz wie im realen Leben umzusehen, zu entdecken. Die Story geschieht hier nicht mehr vorne auf dem Screen, sondern 360° umfassend, über mir, rechts, links, auf dem Schoß und – klar, Horror – hinter mir. Ich tauchte ein.
Ums Eintauchen ging es auch auf der re:publica, die letzte Woche zum zehnten Mal in Berlin stattfand. Und genau das hat mich dieses Jahr am meisten fasziniert: das Eintauchen in die Virtual Reality, die „Immersive Arts“. Auf vier Etagen und 10.000 qm² präsentierte die republica mit dem labore:tory Raum für virtuelle Spielarten in allen Dimensionen: Musik, Kunst, Unterhaltung, Games, Fashion, Journalismus. Das erscheint fast klein neben 17 überfüllten Bühnen und 770 Vortragenden bei 500 Sessions, und war doch großartig. Die Jubiläumsausgabe der Digitalkonferenz stand unter dem Motto TEN, in Spiegelschrift und mit Spiegelfolie als (Selbst)Reflexion gedacht. Wir blicken zurück auf zehn Jahre Veränderung. Wir blicken zurück und wundern uns, wie weit wir gekommen sind seit 2006, damals noch ohne Smartphone, mit den Anfängen von YouTube und mit einer Wii, die dank ihres Controllers 3D-Bewegungen interpretieren kann.
„Bei Immersive Arts am 3. Mai geht es um VR in der digitalen Kunst. Immersion ist in diesem Bereich weit mehr als nur teilnehmen, sondern direkt in die Inhalte eintauchen und das Kunstwerk auf neue Weisen erfahrbar machen. An diesem Schwerpunkt-Tag behandeln wir in Sessions die Erweiterung von Erzähltechniken mit neuen Technologien: Arbeitsweisen, Möglichkeiten und neue Perspektiven sollen aufgezeigt werden.“
Virtual Reality verändert Storytelling. Es ist ein Weg, Gedanken, Ideen, Erlebnisse und Fiktion ohne die Mittelwege der Semiotik zu visualisieren. Aber wie lenke ich Zuschauer, wenn sie gehen, schauen und tun können, wohin und was sie wollen? Zuschauer werden zu Nutzern, verändern ihre Passivität hin zu aktivem Mitwirken. Die klassische Form des Erzählens mit episodischem Spannungsbogen und anvisiertem Ende funktioniert hier nicht mehr. Die Möglichkeiten und Herausforderungen der virtuellen Realität gehen weit über das hinaus, was wir bisher in erzählerischen Medienformen nutzen. (Anspieltipp: Die re:publica-Session zu „Immerse! New technologies, new narratives“ vom Dienstag.)
Aber was bedeutet das für die Kommunikation? Wir werden sehen.
— Zuerst erschienen auf dem Storyblogger.